Ein Meditationskurs in einem buddhistischen Tempel in Thailand ist das perfekte Urlaubserlebnis. Wenn nur die ständige Ablenkung nicht wäre …
„Koh Samui! Wie warm die Luft ist und wie samten, Und wie gut gelaunt und freundlich die Menschen.
Seit dem frühen Morgen üben wir hier im Wat Chalong auf Phuket. „Meditation for foreigners – beginners welcome!“ hatte auf dem Schild in der Old Town gestanden. Sofort wussten wir: Das probieren wir aus! Gehörte der Buddhismus nicht zu Thailand und das Meditieren zum Buddhismus? Und war es nicht der Sinn eines Urlaubs, Ruhe und inneren Frieden zu finden? Also meldeten wir uns für den Kurs im Chalong-Tempel an. Dann setzten wir uns zum Abendessen vor eines dieser kleinen Restaurants, aßen Pad Thai, tranken ein Mango-Lassi und sahen der Sonne dabei zu, wie sie sich hinter den Horizont abseilte. In den Bäumen zwitscherten die Mynahs. Es war Urlaub, und es war Thailand, und es war wunderbar.
Unser Lehrer hatte uns bei Sonnenaufgang im Tempel begrüßt. Er sah aus, wie man sich einen thailändischen Mönch vorstellt: rasierter Schädel, ein freundlich-gütiges Lächeln, das Gewand leuchtend orange. Wir hockten uns auf unsere Kissen und hörten zu, wie er vom Rasen der Gedanken sprach. Davon, wie wichtig es sei, sich auf den eigenen Atem zu konzentrieren. Wir versuchten es. Für einige Minuten schien alles zu funktionieren. Dann aber drängelten sich all jene Gedanken nach vorne in die erste Reihe, die bei einem Meditationskurs nichts verloren haben. Die Gedanken an die Schönheit Thailands.
Die an Koh Samui kamen zuerst. Da hatte unsere Reise begonnen. Schon die Ankunft eine Offenbarung. Wie warm die Luft ist! Wie samten! Und wie gut gelaunt und freundlich die Menschen sind! Unser Hotel ist eine Oase am Meer – und hat den schönsten Pool, den wir je gesehen haben. Die perfekte Terrasse für einen Sundowner. Den aufmerksamsten Staff. Und im Spa kneten und walken die weltbesten Masseure und Masseurinnen. Schnell haben wir gemacht, was man so macht im Urlaub. Man geht eine Runde schwimmen, legt sich an den Strand, döst kurz ein, wacht wieder auf. Bereits war die wichtigste Frage des Tages, in welches der drei Hotelrestaurants wir abends gehen würden.
„Wer sich mit dem Kajak in diese Welt aufmacht, fühlt sich,
als paddelte er in eine asiatische
Tuschezeichnung hinein.“
„Nicht einschlafen!“ Unser Lehrer kann offenbar Gedanken lesen. Er erklärt, was wir mit einem ablenkenden Gedanken machen müssten: Kurz registrieren, dann einfach ignorieren. Sagt der Kursleiter-Mönch. Er sagt nichts davon, dass hinter dem einen kleinen, ignorierten Gedanken natürlich gleich schon die nächsten angetanzt kommen. Außerdem formen sich vor den geschlossenen Augen jetzt Farbkleckse. Und je länger man hinsieht – mit geschlossenen Augen hinsieht –, desto mehr ähnelt die Form der Farbkleckse den Inseln des Nationalparks Ang Thong. Der vor Koh Samui gelegene Park gehört zu jenen Ecken auf diesem Planeten, die eigentlich eher in ein Videospiel gehören als in die reale Welt. Im stahlblauen Wasser liegen grün bewachsene Inselchen, die aussehen, als seien sie bei der Schöpfung versehentlich aus dem großen Kasten mit den Bauteilen gefallen. Wenn man sich mit dem Kajak in diese Welt aufmacht, ist es, als paddelte man in eine asiatische Tuschezeichnung hinein. Abends im Hotel ertappt man sich dann dabei, wie man bei Google Maps nachschaut, welche Ecke des Parks man am nächsten Tag entdecken kann. Tief in uns drinnen glauben wir ja doch alle, dass es die eine Insel gibt, die auf uns wartet. Nur auf uns, irgendwo da draußen.
„Einatmen! Pause! Ausatmen!“ Unser Kursleiter scheint sehr genau zu merken, wer schon wieder nicht bei der Sache ist. Draußen ist eine Brise aufgekommen und weht die Aromen von Ingwer und Zitronengras in den Wat. Einatmen. Pause. Ausatmen. Es klingt so einfach, dieses Meditieren, dabei ist es so unglaublich schwer. Später werden wir merken, dass es zu Hause noch komplizierter ist. Weil da die Kinder im Nachbargarten spielen und der Homeoffice-Computer jede eingehende Mail mit einem leisen „Pling!“ kommentiert. Hier, in Thailand, hier ist nur der Wat.
Um die 30 dieser Tempel gibt es auf Phuket, sie liegen mitten in Kokoshainen oder mitten in den quirligen Orten oder auf Anhöhen über den weltberühmten Stränden der Insel. Betritt man so einen Wat, scheint es, als lasse man alles außer sich selbst vor der Tür. Das hat mit der Kühle in den hohen, leeren Hallen zu tun, in denen oft nur ein einzelner großer Buddha sitzt oder liegt. Mit dem plötzlichen Verschwinden der restlichen Welt. Aber auch damit, dass wir ganz genau wissen, dass wir soeben einen Wat betreten haben. Niemand muss religiös sein, um ruhiger zu werden an so einem Ort. Man fühlt den kühlen Stein unter den nackten Füßen. Riecht den Duft der Räucherstäbchen. Staunt über all das Gold. Der Buddhismus ist allgegenwärtig in Thailand, er prägt das Leben in den Großstadtlofts und in den Bambushütten, die Börsenbroker tragen ihn ebenso im Herzen wie die Küchenhilfen im Hotel. Buddhas Lehre ist überall. In seinen Tempeln aber tankt sie täglich neue Energie.
„Meditation is finished“: Unser Lehrer lächelt noch freundlicher als zuvor, so schlecht können wir uns also nicht geschlagen haben. Er verbeugt sich vor uns, und natürlich verbeugen wir uns vor ihm. Als wir ankündigen, von jetzt an täglich eine Meditationsrunde zu absolvieren, lächelt er noch mehr. Dann verabschiedet er uns, und wir gehen nach draußen. Über uns in den Bäumen kreischen die Mynahs, als würden sie sich gerade sehr amüsieren, aber wahrscheinlich bilden wir uns das nur ein. Stefan Nink